Einsamkeit – Ist Gemeinschaft die Antwort?

Der Mensch ist ein Gemeinschaftstier. So viel ist weit und breit anerkannt und akzeptiert – es ist belegt, sofern das möglich ist. Es ist eine Tatsache. Jedoch wirft eine jede Tatsache automatisch die Frage nach ihrem Ursprung auf – denn irgendetwas muss dem ja zugrunde liegen. Und zugleich macht sich der Gedanke breit; ist dies alles nicht womöglich ein Streben in die falsche Richtung?

1. Die Gemeinschaft

L´évasion et le refuge:

Die menschliche Gemeinschaft dient dem Individuum als Refugium vor allen möglichen Gefahren und Widrigkeiten, dem alten Prinzip der „Gemeinsamen Stärke über geteilter Schwäche“ folgend. Auf den ersten Blick mag hier auch schon die Antwort auf oben gestellte Frage liegen – was gäbe es denn auch für einen besser Grund, eine Gemeinschaft zu bilden, als der, dass es zumindest dem physischen Überleben dienlicher ist, stets auf helfende Hände zurückgreifen zu können, als auf sich selbst gestellt daran zu enden, dass man aus diesem etwas zu tiefen Erdloch ohne Hilfe nicht wieder herausrauskommt?
Diese Überlegungen hatten Gedankenwälzer schon vor tausenden von Jahren, schließlich ist der Schluss nicht sehr weit hergeholt. Jedoch kam die Theorie über diesen Aspekt der Menschheit (wie es bei ihresgleichen meistens der Fall ist) erst post facto, also als die Menschen von sich aus schon Gemeinschaften bildeten, bevor der theoretische Ansatz dazu überhaupt formuliert wurde. Folglich muss es etwas geben, das den Menschen in die Gemeinschaft treibt, ohne dass er sich über den Nutzen und den Sinn dieses Instinktes große Gedanken macht; dieses etwas ist die Einsamkeit. Wer keiner Gemeinschaft angehört, ist einsam.
Wer die Einsamkeit in sich spürt, sucht, ihr zu entkommen und läuft vor ihr davon – das ist l´évasion. Er sucht einen Zufluchtsort, un refuge, den er in der Gemeinschaft findet (oder zu finden hofft).
Die Gemeinschaft besteht aus Menschen, die alle dazu getrieben werden, ein Teil ebenjener zu sein – somit ist eine jede Gemeinschaft einfach eine Gruppe Menschen, die nicht einsam sein wollen.

Die Einsamen und die (Illusion der) Gemeinsamkeit:

Gemeinschaft basiert auf Gemeinsamkeit. Gemeinsamkeiten geben uns, wenn wir sie an anderen entdecken, ein Gefühl der Nähe und Vertrautheit zu jenen anderen; das Entzücken, das wir erfahren, wenn wir eine so genannte âme soeur (verwandte Seele) finden, lässt uns doch glatt die Einsamkeit vergessen, die uns plagt, sowie die Tatsache, dass diese wahrgenommene Befreiung nur einen Augenblick währen und die Einsamkeit, die lediglich in den Hintergrund getreten und nicht etwa verschwunden ist, nach diesem Augenblick mit erneuerter Macht wiederkehren wird.
Wir sitzen nicht, wie es oft behauptet wird, alle im selben Boot. Wir können gar nicht im selben Boot sitzen, da wir, ungeachtet dessen, wie nahe wir anderen Menschen kommen, doch nicht mit ihnen verschmelzen können und letztendlich Individuen sind, die jeden Ton, den sie hören, jeden Lichtflecken, den sie sehen, jeden Luftzug, den sie spüren und jede Emotion, die sie fühlen stets allein und auf ihre ganz eigene Art und Weise wahrnehmen und erfahren. Jeden unserer Weltblicke und Lebenswege gibt es nur ein einziges Mal und dann nie wieder. Wie können wir da guten Gewissens behaupten, wir säßen in genau demselben Boot, und sei es auch nur für einen Moment? Höchstens sitzen wir in zwar ähnlichen, jedoch ganz klar unterschiedlichen Booten, die von Zeit zu Zeit auf derselben See treiben. Die gleichen Stürme und Wellen können über uns hereinbrechen, doch wohin sie uns bringen – oder ob sie uns gar in den unendlichen Abgrund stürzen – das unterscheidet sich von Boot zu Boot. Wie die Existenz dieses Sprichwortes jedoch belegt, bilden wir uns etwas anderes ein. Wir kreieren eine „Illusion“ der Gemeinsamkeit(en), um unsere Gemeinschaft zu erhalten und können der Wahrheit nicht ins Auge blicken, ohne uns von ihr zu entfremden und der Einsamkeit anheim zu fallen. Und davor fürchten wir uns mehr als vor allem anderen.

Foto: Vinoth Chandra, CC BY
Die Dynamik der Gemeinschaft:

Die Gemeinschaft ist weder eine Selbstverständlichkeit, noch ist sie etwas, das wie ein Felsen stetig ist und bleibt, wie sie geschaffen wird. Sie ist ein momentaner Zustand, der ständig im Wandel begriffen ist, in sich zusammenfällt und wiederaufgebaut werden muss, und von den Taten, Worten, Gedanken und Gefühlen ihrer individuellen Mitglieder bestimmt wird – Gemeinschaft ist eine rasende Dynamik, und sie ist unendlich zerbrechlich. Obwohl sie als refuge vor der Einsamkeit gilt und als solcher dient, entpuppt sie sich oft genug als Katalysator derselben, wenn die gemeinsame Grundlage der gemeinschaftlichen Dynamik im Bewusstsein derjenigen, die sie ausmachen, verändert wird. Dazu wird nicht viel benötigt; so kann sich ein Maurer in einer Gruppe Programmierer – mit welchen er noch bis vor kurzem eine tiefe Verbundenheit über die Gemeinsamkeit eines beliebigen Themas (vielleicht Politik, das Wetter oder ganz einfach Bier) empfand – plötzlich einsam fühlen, weil diese anfangen, nur noch von Nullen und Einsen zu reden, sodass die gemeinschaftliche Dynamik eine vollkommen andere wird.
Mit welcher Heftigkeit ein Individuum auf ein déplacement der Gruppendynamik reagiert, hängt davon ab, ob sich dieses in seinem Sinn vollzieht und inwiefern die neue Dynamik seine position contre soi-même (sein Selbstbild) widerspiegelt – denn die Gemeinschaft ist sowohl Dynamik als auch Spiegel.

Der Spiegel und die position contre soi-même:

Die Dynamik einer Gemeinschaft wird ebenfalls durch die Haltung des Individuums (beziehungsweise aller Individuen, die ihr angehören) zu sich selbst – seine position contre soi-même – bestimmt, welche sich, wie mir scheint, zumeist im Laufe seines frühen Lebens entwickelt und in ihrem groben Schienenbett festigt, wobei sich Veränderungen auch nach dieser Zeit noch oft genug vollziehen. Um eine solche position contre soi-même entwickeln zu können, ist ein Standpunkt gegenüber der Gemeinschaft vonnöten. Nun mag dies paradox klingen, gerade in Bezug auf die oben angesprochene „Dynamik einer […]“, worin sich recht sautant-á-l´oeil die Implikation verbirgt, die position contre soi-même bräuchte die position contre la communautée (den Standpunkt gegenüber der Gemeinschaft) und umgekehrt. Das bedeutet, dass sie beide voneinander abhängig und aufeinander angewiesen sind.
Doch paradox ist es nur, wenn man davon ausgeht, wir würden in ein Vakuum hineingeboren. Dem ist jedoch nicht so; stattdessen werden wir sofort in die Gemeinschaft eingegliedert.
Die Gemeinschaft ist dem Individuum Anstoß zur Entwicklung einer position contre soi-même, weil sie als Spiegel fungiert, der einen Vergleich bietet. Ohne diesen maßstabschenkenden Spiegel, kann es sein unabhängig erlangtes Bewusstsein von und für sich selbst weder werten, noch letztendlich seine eigene position contre soi-même daraus aufbauen und verändern.

2. Die Einsamkeit

Le besoin d´être compris et d´appartenir:

Die Einsamkeit ist Gefühl und Konzept zugleich. Als Konzept steht sie in der allgemeinen Auffassung in Relation zur Gemeinschaft, und zwar als ihr negativ bewertetes Gegenstück. Das Gefühl der Einsamkeit hingegen ist komplexer, doch hält man es simpel, lassen sich zwei hauptsächliche Komponenten identifizieren. Diese beiden Komponenten sind die zwei Grundbedürfnisse, die die Einsamkeit auszulösen und ihr freien Lauf zu lassen pflegen, wenn sie nicht erfüllt werden.
Das erste Bedürfnis ist jenes, welches Menschen überhaupt erst mit Vehemenz in die Gemeinschaft peitscht, wobei die Frage nach der Natur der Gemeinschaft gänzlich zweit- oder gar drittrangig scheint. Es handelt sich hier um le besoin d´appartenir (das Bedürfnis, dazuzugehören), und dieses Bedürfnis ist so stark, dass jene, die von ihm durchdrungen sind, sich (oft unbewusst) bereit erklären, ihre ganzen individuellen Werte, ihre gesamte Weltanschauung auf den Kopf zu stellen und zu verraten, alles nur, um einer, irgendeiner, Gemeinschaft anzugehören. Das demonstriert die Macht, die dieses Bedürfnis auf den Menschen ausübt. Wer von Anfang an schon kaum existente gedankliche Integrität besitzt, wird ohne viel Aufsehens einer jeden Überzeugung, die gegen die Vorstellungen und Auffassungen ihrer neuen Gemeinschaft, deren Mitgliedschaft angestrebt wird, verstoßen könnte, absagen und sogar mit Freudentränen dabei zusehen und winken, wie sie von der Charybdis des Vergessens geschluckt wird und sich dabei auch noch einreden, eigene Schlussfolgerungen hätten diesen Abschied herbeigeführt – und nicht etwa der Drang, d´appartenir, dazuzugehören, der stärker ist, als jede eigens gefasste Ansicht. Alles besser, als einsam zu sein.
Ein feineres, beinahe flehentliches, mitleidverlangendes Gefühl dagegen ist le besoin d´être compris. Zart und fast schon zaghaft bittet es die Gemeinschaft um transzendentes Verständnis für zumeist des Einzelnen Leiden und nicht selten seiner gesamten Lebenssituation. Erlangt es dieses beinahe forciertes Verständnis, tut es dies auf kaum mehr als einer Ebene zugleich, was anfangs durchaus zu genügen scheint – jedoch nur selten so bleibt. Mit größerer Macht verlangt es nach einer compréhension plus profonde, und wie das Damoklesschwert überkopf schwebend droht die Einsamkeit. So geht es dann weiter, bis ein Verständnis nicht mehr möglich ist, da jene Ebene erreicht ist, die erstens zwischenmenschlich kaum (wenn überhaupt) zu vergleichen und zweitens in Worten schlicht nicht widerzuspiegeln ist. Die Reaktion darauf tritt mit großer Heftigkeit auf; das Schwert der Einsamkeit fährt hernieder und löst den Knoten, der Wut und Selbstmitleid in Bann hielt und plötzlich schlägt der Frust blutrünstig um sich. Entweder verfällt man nun diesem Frust, der Wut gegen alles Menschliche, oder dem selbstgefälligen Selbstmitleid – zumeist jedoch stürzt man sich in beides zugleich. Immer tiefer versenkt man sich in seiner Einsamkeit. Denn schuld ist nicht das Bedürfnis – schuld sind der Rest der Menschheit und die Gemeinschaft, weil sie nicht in der Lage sind, dieses Verständnis, diese compréhension, aufzubringen. Oder zumindest ist das die Annahme und, viel wichtiger: die Anklage.

Der Bruch der Illusion:

Die Gemeinschaft resultiert aus der versuchten évasion vor der Einsamkeit – sie ist das große refuge, und gleichzeitig ein immer aufs Neue unternommene Versuch, die Menschheit endgültig von ihr zu befreien. Aus diesem Grund werden Kinder von dem Moment ihrer Geburt an in eine, wenn nicht sogar gleich mehrere Gemeinschaften eingegliedert (z.B. in die Familie) und im Laufe ihres frühen Lebens munter von einer Gemeinschaft zur nächsten gereicht – Kita, Kindergarten, Grundschule usw. So wird versucht, die inhärente Einsamkeit gar nicht erst in ihnen aufkommen zu lassen – doch ist dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt. Dazu muss gesagt werden, dass die Beweggründe der Gemeinschaft in Bezug auf ihren Nachwuchs zumeist eher unbewusst als bewusst in Kraft treten.
Mit fortschreitendem Alter sinkt die Bereitschaft der Gemeinschaften, uns in unserem gemeinschaftlichen Leben behilflich zu sein, womit gleichzeitig die Initiative wächst, die wir an den Tag legen müssen, um uns einzugliedern, eine presque-Kunst für sich, deren Beherrschung jedem von uns mehr oder weniger schwer fällt und manchen gar unmöglich scheint. So entfremdet sich unser anfängliches, mehr oder minder gutgläubig aufgenommenes Gemeinschaftsverständnis von den uns vorher verborgenen Aspekten und Dynamiken ebenjener, die sich nun peu-à-peu herauskristallisieren – die Gemeinschaft in ihrer ganzen Art ist, unserem Verständnis nach und wie sie uns präsentiert wurde, eine Lüge gewesen.
Plötzlich ist die Gemeinschaft nicht mehr die Selbstverständlichkeit, die sie einst war – und wir, die wir als Menschen bedauerlicherweise suchtgefährdet sind, auf Entzug. Denn, man täusche sich nicht; die Gemeinschaft, dieses angebliche Heil vor der Einsamkeit, ist eine Sucht. Ihre Funktion als Spiegel wird uns nun verwehrt. Unsere doch noch so fragile position contre nous-mêmes muss auf sich selbst gestellt bestehen, ohne den vergleichenden Rahmen der Gemeinschaft, der sie führt und bestätigt. Zum ersten Mal rühren sich, unbefriedigt, unsere zwei Grundbedürfnisse der Einsamkeit, deren Existenz wir uns, wenn überhaupt, nur entfernt bewusst waren. Denn die Gemeinschaft war ja immer da und verhinderte so gut es ging, dass sich die Frage nach ihnen überhaupt stellte – doch das alles hat nun ein Ende.
Um es kurz zu machen: diese anfängliche Entfremdung von der Gemeinschaft, die wir erfahren, mündet im Auseinanderbrechen des Sockels unserer Weltordnung, und mit voller Wucht erwischt uns die Einsamkeit – das ist der Bruch der Illusion, weil wir die Gemeinschaft zum ersten Mal als das erkennen, was sie ist; nämlich nicht etwas, das ist, sondern etwas, das gemacht wird.

Foto: Ashley van Haeften, CC BY
Am Lebenssteuer:

Nun sind wir einsam. In unserer Beschränktheit bilden wir uns ein, wir seien die einzigen Einsamen, wodurch wir nur noch einsamer werden, als wir es ohnehin schon sind – und folgen dabei einer ungesunden menschlichen Neigung; wir machen unser Leid zur Tugend und erheben uns in unserem eigenen Bewusstsein somit über den Rest Menschen, die sich gegenseitig anheimgefallen sind und einander „blind“ folgen. Schafe nennen wir sie, und wünschen uns doch insgeheim nichts mehr, als ihnen anzugehören. Stattdessen leben wir unseren Frust darüber, dass wir genau das nicht können, schamlos aus und heißen es „erhaben“, wo es doch nichts weiter ist als größenwahnsinniges Selbstmitleid. Da sitzt die Einsamkeit. Am Heck unseres Geistes, fest das Steuer in Händen, treibt uns in Meere der Unvernunft.
Natürlich hat in diesem Zustand niemand die Weitsicht, zu erkennen, dass die Aspekte der (ihn in seinen Augen austoßenden und ihm nun als Fremdding scheinenden) Gemeinschaft, die er anklagt und ihm verhasst sind, nicht nur dieser spezifischen Gemeinschaft anzulasten sind, sondern den meisten, die es gibt. Schließlich muss es, damit etwas schlecht sein kann, etwas geben, das gut ist – oder zumindest besser – und besser ist immer alles, was das Schlechte nicht ist. Als solche, von uns idealisierten Glanzgegenstücke zu den „schlechten“ Gemeinschaften, in die hineingeboren zu sein wir das Unglück hatten, suchen wir uns am liebsten solche aus, deren Unerreichbarkeit wir uns am leichtesten einreden können. So sind wir nun Märtyrer unserer eigenen kleinen Einsamkeitsreligion, die wir, zusammen mit unseren Leiden, höher und einzigartiger halten als alles andere, ohne uns im Klaren darüber zu sein, dass wir nichts weiter durchleben als eine universelle Erfahrung, die sich durch jede Epoche der Menschheitsgeschichte zieht.
Aus diesem tourbillon der Einsamkeit voller Wut, Selbstmitleid und Neid, in den wir uns stürzen, finden wir erst einmal nur heraus, wenn wir uns der Möglichkeit öffnen, doch noch einer Gemeinschaft beizutreten – eine Gemeinschaft, die wir, aus welchen Gründen auch immer, fälschlicherweise als allen anderen überlegen erachten. Wir mögen zwar denken, sie sei weniger falsch und „gemacht“ als die anderen, vielleicht, weil wir oft zum ersten Mal an ihrer tatsächlichen ersten Entstehung teilhaben, weil diejenigen, die ihr angehören, genauso einsam sind wie wir auch und sich die verschiedenen positions contre soi-mêmes dadurch recht gut komplimentieren – doch genau das ist es ja, was eine jede Gemeinschaft ausmacht oder zumindest versucht. Wir machen ja nur das weiter, was alle vor uns schon gemacht haben; wir flüchten in die Gemeinschaft. Dass es eine andere ist als die, der wir ausgetreten sind, macht keinen Unterschied. Der Kreis schließt sich.
Manche jedoch kommen aus dem tourbillon nicht wieder heraus. Das sind dann entweder jene, die keine neue Gemeinschaft gründen oder keine finden konnten, die sie aufnimmt; oder – und das kann man nur als bittere Ironie bezeichnen – jene, die die fundamentale Gleichheit aller Gemeinschaften (also als gemachte Einsamkeitszuflucht) erkennen, und somit überhaupt nicht in der Lage sind, sich in eine solche wieder zu retten. Denn sie sind ja alle falsch. Diese wenigen müssen entweder die einzige Alternative finden – oder zerbrechen, und der Welt, der Menschheit, sei es „nur psychisch“ oder gleich physisch, verloren gehen.

3. Gemeinsam einsam

Gemeinsam trotzdem einsam:

So ist die Gemeinschaft also eine Gruppe Menschen, die ihrer Einsamkeit durch Gemeinsamkeit beizukommen hoffen. Doch selbst in diesem doch recht simplen Gefüge sind Absicht und Ergebnis nicht immer das Gleiche; obwohl die Gemeinschaft ein refuge vor der Einsamkeit zu sein gedacht ist, setzt ihre funadementale Zusammensetzung diesem Ziel nicht selten Thermiten ins Holz. Da sie aus Individuen besteht, deren positions contre soi-même und gegenüber der Gemeinschaft potentiell ganze Unterschiedsschluchten trennt, sind Gemeinschaftszusammenschlüsse ungünstiger Konstellation (man nehme mein voriges Beispiel mit den Informatikern und dem Maurer und ersetzt die Informatiker mit einer Anzahl verschiedener Menschen, die alle nur über ihren eigenen Expertisebereich reden können oder wollen), eine beständige Falle, die die Einsamkeit uns stellt. Dennoch werden sie aus verschiedenen Gründen eingegangen, sei es aus professioneller Notwendigkeit oder einfach weil fehlgeleitet gedacht wird, eine schlechte Gemeinschaft sei besser als gar keine – doch das Endergebnis ist immer das selbe. Diese Gemeinschaften bewirken genau das Gegenteil von dem, was man sich aus ihnen erhofft; ihre Mitglieder sind gemeinsam trotzdem – oder gerade deswegen – einsamer als selbst ohne sie.

Gemeinsam der Einsamkeit „beikommen“:

Es kann auch funktionieren. Man kann sich in einer Gemeinschaft wiederfinden, deren Menschenzusammenwurf so passend ist, dass die Einsamkeit aller Beteiligten verschwindet und sie in Ruhe lässt.
Jedoch ist die Gemeinschaft etwas, das nicht verweilt. Ungeachtet der Großartigkeit ihrer Konstellation, die Zeit kommt ihr bei, bevor sie der Einsamkeit vollständig beikommen kann.
Und so stellt sich die Frage: Ist das alles, was uns bleibt? Ein Streben nach etwas, das vergeht? Eine vergebliche Flucht vor etwas, dem wir nicht entkommen können?

Foto: Ashley van Haeften, CC BY

4. Alleinigkeit

Osho – alleinsein und einsamsein:

In „The transcendental game of zen“ schreibt Osho folgendes zur Alleinigkeit (Alonneness):
„When you are alone you are not alone, you are simply lonenely – and there is a tremendous difference between loneliness and aloneness. When you are lonely you are thinking of the other, you are missing the other. Loneliness is a negative state. You are feeling that it would have been better if the other was there – your friend, your wife, your mother, your beloved, your husband. It would have been good if the other was there, but it is not.
Loneliness is absence of the other. Aloneness is the presence of oneself. Aloneness is very positive. It is a presence, overflowing presence. You are so full of presence that you can fill the whole universe with your presence and there is no need for anybody.“

Die Überwindung der Einsamkeit und des Gemeinschaftszwanges:

Die Flucht in die Gemeinschaft ist nicht die Lösung für unser Einsamkeitsproblem. Sie ist eine temporäre Erleichterung, doch sie verleitet den Menschen auch zu ungemein vielen Verzweiflungstaten und schafft ungesunde Dynamiken sowohl in ebenjenen Gemeinschaften als auch in den Individuen, die sie ausmachen. Also muss eine andere her, und die ist in uns selbst zu finden.
Wir müssen, um der Einsamkeit zu entkommen, unsere Einstellung ändern – zur Gemeinschaft, zur Einsamkeit, und vor allem zu uns selbst. Die Flucht vor der Einsamkeit ist nicht selten auch eine Flucht vor dem eigenen Sein. Alleinsein ist nichts verwerfliches, und schon gar nicht der Gemeinschaft unterlegen. Das Verständnis, nach dem wir lechzen, wird uns keine Gemeinschaft jemals geben – es ist nur in uns selbst zu finden. Und auch unser besoin d´appartenir können nur wir selbst uns befriedigen, denn wir gehören zu nichts und niemandem außer uns selbst.
Jeder von uns ist auch der Einzige, der sich selbst endgültig von der Einsamkeit befreien kann, und zwar, indem er sie mit der Alleinigkeit ersetzt, jener unnachgiebiger Präsenz seiner selbst, die keine Gemeinschaft und keine Heuchelei braucht, die sie bestätigt. Und genau darin liegt auch die Überwindung des Gemeinschaftszwanges, da wir uns selbst geben können, was die Gemeinschaft uns verspricht. So sind wir nun frei in der Gemeinschaft, ohne in der Angst zu leben, sie könnte uns austoßen und verlassen, wir sind nicht mehr auf sie angewiesen und mit dieser Freiheit ist Gemeinschaft für den Menschen nichts weiter als eine bewusste Genussentscheidung, wie jede andere, die er trifft – oder auch nicht – wie es ihm beliebt.
Abschließend möchte ich anmerken, dass ich hier keinen philosophischen Durchbruch erlangt zu haben behaupte – schließlich predigt fast jede Religion in irgendeiner Art und Weise den Asketen – jedoch möchte ich ebenfalls betonen, dass dieser Artikel keine Verurteilung der Gemeinschaft per se ist, sondern des Zwanges, der sie allzu oft ist. Wir sollten nicht in die Gemeinschaft flüchten, weil wir Angst haben, einsam zu sein, sondern vielmehr, weil wir als freie Menschen die bewusste Eintscheidung treffen, ein paar Stunden lang nicht allein zu sein, um dann glücklich in unsere Alleinigkeit zurückzukehren.


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