Plastik ist überall. Nicht nur im Einkaufswagen, Kleiderschrank und Kosmetiktäschchen, sondern über den ganzen Globus hinweg verteilt: Von der Tiefsee bis hin zur Gipfelspitze. Was hat der synthetische Stoff dort zu suchen? Was hat er für Folgen, und was tun gegen die weltweite Plastikverschmutzung?
Das Bild einer Schildkröte: Ihr sonst so ovaler Panzer ist verformt. Ein Plastikring schnürt ihren robusten Panzer zu – ein Todeskorsett aus Plastikmüll. Es handelt sich um keine seltene Panzerfehlbildung, keinen Einzelfall, sondern um die bittere Realität vieler Meerestiere. Denn Plastik ist überall, ob in den Meeren, unseren Straßen und ja, sogar auf dem Mount Everest in tausenden Kilometern Höhe. Synthetisch hergestellt, ist das Plastik ein Fremdkörper in unserer biologischen Welt.
Vorab: Kunststoff oder Plastik – Was ist richtig?
Beides. Denn während der Begriff „Kunststoff“ insbesondere im technischen Fachjargon genutzt wird, stammt „Plastik“ derweil vom griechischen Wort „plastiko“. Das heißt so viel wie „formbar”. „Plastik” ist negativer konnotiert als „Kunststoff”. Statt billigem Plastikschrott, mag Kunststoff hochwertiger wirken.
Eine kleine Geschichte des Plastiks
Vor mehr als hundert Jahren erfand der Chemiker Baekeland den ersten vollsynthetischen Kunststoff. Damit begann die Revolution der synthetischen Chemie: Plötzlich gab es einen Stoff, der nicht nur formbar und hitzebeständig war, sondern auch Strom isolieren konnte. All das rein industriell produziert. Immer mehr Kunststoffe kamen im Laufe der Zeit dazu, von PVC zu Polyester. Heutzutage besteht der Kunststoff größtenteils aus Polymeren, langen Molekülketten – gewonnen aus fossilen Rohstoffen. Noch nie zuvor gab es ein synthetisches Produkt, das so vielseitig anwendbar war. Von Schallplatten zu Brotdosen bis hin zu Polyesterpullis, von jetzt auf nachher schien alles möglich. Plastik ist biegsam, Plastik ist haltbar. Plastik kann stabil, Plastik kann weich sein. Plastik kann nahezu alles. Und das ist genau das Problem.
Abhängig vom (Kunst)Stoff

BU: Prof. Dr. Ing. Almeida Streitwieser ist Studiendekanin für den Master-Studiengang Umweltschutz der Hochschule Reutlingen.
„Unsere Gesellschaft könnte ohne Plastik nicht leben”, sagt Professorin Daniela Almeida Streitwieser. Sie unterrichtet Umweltschutz an der Hochschule Reutlingen. Einerseits warnt die Professorin vor der Plastikverschmutzung und fordert die Entwicklung abbaubarer Materialien: “Wir müssen den erdölbasierten Kunststoff weitestgehend ersetzen.” Andererseits spricht sich die Professorin gegen ein Verbot des Alleskönners Plastik aus. Wie sonst, solle man beispielsweise Lebensmittel und Medizinprodukte hygienisch konservieren, wenn nicht mit dem praktischen Kunststoff? Doch was Plastik so attraktiv macht, ist auch sein größtes Manko: seine Langlebigkeit. Einmal produziert, braucht Plastik Jahrhunderte, um sich abzubauen. Wird es von Industrie und Privathäusern nicht sachgemäß entsorgt, gelangen kleinste Mikroplastikpartikel aus Kosmetika bis hin zu große Plastikteile ins Abwasser, in die Flüsse und schließlich ins Meer. Bis sich eine einzelne Plastikflasche im Meer in Mikroplastikpartikel zersetzt, braucht sie laut dem Naturschutzbund Deutschland 450 Jahre. Mehr als genug Zeit, in der sich Meerestiere wie Fische oder Delfine an den herumtreibenden Plastikteilen verschlucken können. Andere interpretieren die kunterbunten Kunststofffetzen als Nahrung. Gefundenes Fressen also für eine hungrige Schildkröte, die nach dem Plastiksnack genauso hungrig bleibt wie zuvor. Den Magen voll mit Kunststoff, stirbt sie einen qualvollen Hungertod.
Und wenn dann diese 450 Jahre alte PET-Flasche endlich langsam zersetzt ist, hört es nicht auf. Aus den großen Plastikteilen entsteht noch mehr feinstes Mikroplastik: winzige Kunststoffteilchen, die kleiner als fünf Millimeter sind. Und diese Teilchen sind das eigentliche Problem. „Wenn Mikroplastik einmal im Meer ist, ist es schon zu spät”, warnt Streitwieser. Während sich die großen Plastikstücke noch abfangen lassen, sickern die Partikel durch Filter hindurch und verteilen sich im ganzen Ökosystem.
Lunchtime: Mikroplastik
In den Meeren gelangen die kleinen Kunststoffpartikel in Fische und schlussendlich auf unsere Teller. Die australische University of Newcastle fand 2019 im Auftrag des WWF heraus, dass ein Mensch bis zu fünf Gramm Mikroplastik pro Woche zu sich nimmt. Das entspricht etwa dem Gewicht einer ganzen Kreditkarte. (Hinweis: Der genaue Wert schwankt aktuell zwischen 2,5 bis 5 Gramm, abhängig vom Essverhalten.)
Kein Fisch mehr essen – Problem gelöst?
Leider ist es nicht so simpel, denn nicht nur über die Nahrung nehmen wir Mikroplastik auf. Mikroplastik befindet sich im Trinkwasser und, ja, sogar in unserer Luft. Reiben Autoreifen auf dem Straßenbelag, dann entsteht ein feiner Reifenabrieb aus Polymeren. Gerade in verkehrsstarken Ballungszentren inhalieren Menschen also regelrecht Mikroplastik. Bislang fehlen jedoch handfeste Studien, die die gesundheitlichen Schäden von Mikroplastik in einem Organismus nachweisen. Es gibt Vermutungen, dass im Körper akkumuliertes Mikroplastik Entzündungsprozesse auslösen kann. Die Umweltprofessorin Streitwieser betont deswegen die schon lange bewiesene Gefahr von Zusatzstoffen wie Weichmacher in Plastik. Diese könnten Studien zufolge krebserregend wirken und Einfluss auf das Immun- und Gesundheitssystem nehmen.
Gescheiterte UN-Plastikkonferenz

Obwohl Plastik immer tiefer in unsere Lebensräume eindringt, bleibt es politisch ein Randthema. Vertreterinnen und Vertreter von 193 Staaten trafen Ende vergangenen Jahres in Südkorea zusammen. Ihr Ziel: Ein verbindliches UN-Abkommen, um die Plastikvermüllung zu stoppen. Doch nach sieben langen Verhandlungstagen blieb der erhoffte Konsens aus. Mit den Worten: „Nichts gilt als vereinbart, solange nicht in allen Punkten Einigkeit herrscht”, beendete der Verhandlungsführer die UN-Plastikkonferenz. Gerade die erdölfördenden und plastikproduzierenden Staaten wie Saudi-Arabien oder der Iran blockierten ein Abkommen, das eine reduzierte Plastikproduktion vorsah. Gerade jetzt sei der Konsens so wichtig, so Streitwieser. „Wenn wir uns als Menschheit nicht einigen, dann sehe ich düstere Aussichten für uns.”
Leuchtturm-Projekt: Wasser 3.0
Die gescheiterte Konferenz in Südkorea mag entmutigen. Was tun, wenn die Staaten nicht an einem Strang ziehen? Projekte wie „Wasser 3.0” geben Hoffnung. Die gemeinnützige Organisation aus Karlsruhe bietet Lösungen für Kläranlagen, für Wasser ohne Mikroplastik. Gegründet wurde „Wasser 3.0“ von Dr. Katrin Schuhen. Als Juniorprofessorin für Organische und Ökologische Chemie setzte sie das Thema „Wasser” auf ihre persönliche Forschungsagenda. „Schnell wurde mir klar, dass es an vielen Ecken und Enden viel zu tun gibt”, berichtet Schuhen. Gemeinsam mit ihrem Team entwickelte sie ein innovatives und dennoch simples Verfahren, um Abwasser von Mikroplastik zu reinigen. „Der Clou liegt in der Einfachheit.” Eine Hybridkieselmischung verklumpt das im Wasser enthaltene Mikroplastik. So entstehen aus vielen Kleinst- wenige Großpartikel. Diese treiben an die Oberfläche und lassen sich leicht vom restlichen Wasser abschöpfen.



BU: Ein simples Verfahren: Beim Hinzugeben einer Hybridkieselmischung verklumpen Mikroplastikpartikel im Abwasser.
Doch obwohl die Technologie im globalen Maßstab funktionieren könnte, wird sie bislang nicht flächendeckend eingesetzt. Bis dato fehlt hierfür die gesetzliche Pflicht, Mikroplastik zu entfernen. Und so fehlt auch der nötige Impuls, zu handeln. Das Wichtigste sei jetzt, so Schuhen, die Mikroplastik-Hotspots der Industrie zu finden und die Abwasserströme zu analysieren. Nur mit diesen Daten ließen sich sinnstiftende Lösungen weltweit umsetzen. Sie blickt trotz fehlenden politischen Vorgaben für Kläranlagen positiv in die Zukunft: „Ich glaube fest an den Moment, an dem es an entscheidenden Stellen ,Klick´ macht. An dem aus Hinterherrennen proaktives Handeln wird.”
„Das Gemeinsam macht den Unterschied.”

Bu: Dr. Katrin Schuhen ist CEO der Wasser 3.0 gGmbH.
Almeida Streitwieser und Dr. Katrin Schuhen sind sich einig: Es liegt in unserer Hand. „Jeder kleine Beitrag zählt”, betont die Professorin der Uni Reutlingen. Auch wenn die Politik stockt, Ölstaaten verbindliche Beschlüsse verhindern, Umweltschutz in den Hintergrund rückt. Das Handeln eines jeden Einzelnen zählt. Sei es „nur” der Einkauf im Unverpacktladen um die Ecke, die Vermeidung von Einwegplastik oder die richtige Mülltrennung. Schuhen bringt es auf den Punkt: „Das Gemeinsam macht den Unterschied.”
Kommentare